liebhaber der westsäulen
Der Titel dieses Blogs ist eine Reverenz an den gleichnamigen Prosatext von Ilse Aichinger (1921-2016). Darunter teile ich eigene Aufzeichnungen, Kurzprosa, Gedichte und Fotografien, Aktuelles und Wiedergefundenes mit Weggefährten und Neugierigen.
31.12.2022
20.11.2022
Die »Celeste«
»Du weißt, man ließ mich nicht Abschied nehmen!«
»Weibsteufel!«
18.10.2022
Einthal-Klamm
Nieder zwingt der Fels
den arglosen Steig.
Taub sinkt er
ins Moos.
Schwindel erfasst seine
Stämme, die Wipfel
unterm Fallbeil
des Winds.
27.09.2022
29.08.2022
02.08.2022
Dämmerungsstück
23.07.2022
Abgesang der Heuschrecke
Wenn die letzte Nacht mir naht,
werde ich euch nicht mehr fliehen,
werd wach um eure Zäune ziehen,
lass euer Gras und Grummet liegen
und vom Wind allein mich wiegen.
Wenn hochzuklettern mir geglückt,
werd ich die Beine halb verschränken,
in Wahn und Weh mich arg verrenken,
wirres Gesirr vielleicht noch singen,
eh himmelein die Lichter springen.
Wenn ihr dann diese Hülle seht,
die bleiche Pilze schon verzehren,
hab lang ich aufgehört zu delirieren;
die Sporen wird es weit versprengen,
die Reste mag die Glut versengen.
05.07.2022
02.07.2022
26.06.2022
Herrenholz
24.05.2022
Kali und Phosphor
flanierten wir durch den botanischen Garten,
wo Stunde um Stunde wir launig verbrachten,
mal staunten, mal lachten und nebenher lasen,
unter tausend Gewächsen von hie und von da,
die Epitheta pontisch, podolisch, ruthenisch
an Kalikraut, Wermut, an Geißklee und Distel,
und Bilder erstanden von Steppen und Triften
und staubigen Brachen; es war, als gemahnten
sie unsre Gedanken, Tribut zu entrichten –
an Tote, Verschleppte, ans Trauern und Bangen
im östlichen Flammen von Phosphor und Wahn.
30.04.2022
24.04.2022
12.03.2022
01.03.2022
Märzland
(Vor Nonndorf)
Hinaus, genug von Stubendingen –
zu fühlen: den Wind den Winter zwingen;
Wärme tändelnd sich verschenken,
mit Säften all die Dürrnis tränken,
Leben tauen in Stock und Waben,
leichthin wecken jeden Graben –
hinaus, es dauert nicht mehr lang.
Voraus nun liegen kahl die Breiten,
drüber hingestreute Sprödigkeiten.
Härte fand manch schwache Flanke –
am Feldrain ein Kadaver, Gezanke,
Krähen, aufgeschreckt wie Diebe.
Wolkengeschiebe, Sandgestiebe,
voraus fliehen Lichter, flieht Gesang.
19.02.2022
drosseln
kahler zürgelbaum –
an diesem morgen schlägt er
mit hundert flügeln
wacholderdrosseln –
kopfüber und kopfunter
in den beerenrausch
ein drosselschwarm fliegt
jäh aus den baumkronen auf –
wirklich kahl sind sie
[Ein neues (#39) und zwei ältere haiku (#28, #14), vereint zu einem Zyklus]
17.02.2022
22.01.2022
Winter-Splitter #2
Ein bestirnter Himmel: eine Milchstraße und in einiger Entfernung, ohne erkennbare Beziehung zu jener näheren, eine zweite – so erstrecken sich Formationen abertausender geballter Helligkeiten durch das Klardunkel unter mir. Dieses durchwirken, eigenen Regeln folgend, unauffällige Verwerfungen, deren verschliffene Kanten meine Füße erspüren. Dann schnalzt, aus dem Nichts, etwas wie ein kosmischer Peitschenhieb durch die Welt – dumpf der Widerklang einer Membran, und wieder eisige Stille.
Mehrere Perioden des Tauens und Frierens später liegt im fahlen Laternenschein meines Abendwegs ein Muster anderer Dimension: Als wäre gescheckte Tierhaut, ins Groteske überdehnt, von Ufer zu Ufer aufgespannt worden, oder als hätte sich das Gewässer für hoch oben schwebende Beschauer camoufliert, umschließt eine unregelmäßige bereifte Fläche nachtschwarze Inseln frischen Eises. Bei Sonnenschein stießen hier wohl Schlaglichter, kälter als aus jedem Suchscheinwerfer, durch auf den Grund.
Ein andermal wird das Altwasser in Wellen, immer abwechselnd, matt und wieder spiegelnd – unablässig jagt ein lauer Sturm Schauer um Schauer über den Wasserfilm, der das angetaute Eis überzieht. Ein Weniges nur, es bräche, und ganz nebenher wischte der Wind die Reste beiseite – so meint man. Am nächsten Morgen ist alles widerrufen, die Oberfläche wiedererstarrt, rippelig nun und opak. Möwen sind versammelt, manche der auffliegenden kreischen, die einhertrippelnden bleiben stumm.
19.01.2022
31.12.2021
Stiller Silvesterabend
Der Tag hält ein und blickt ins Jahr:
was es vergab, was es versah,
was es verschafft, was es vermacht –
der Tag streicht weiter in die Nacht.
Die Stunden pochen in den Wänden:
was sie vernähmen, was sie verständen,
was sie vergäßen, was sie vergäben –
die Stunden loten ganze Leben.
Sekunden (niemand, der sie zählt):
was sie verstellt, was sie verquält,
was sie vereint, was sie entzweit –
Sekunden keiner Ewigkeit.